Aussage­ver­wei­ger­ungs­recht

by | Jan 9, 2019 | Strafrecht

Aussage­­ver­­wei­­ger­ungs­­recht – Wann haben Sie das Recht zu schweigen?

Im Schweizerischen Strafprozess können Sie in der Rolle der beschuldigten Person, der Auskunftsperson oder als Zeuge/Zeugin befragt werden. Je nachdem, in welcher Rolle Sie befragt werden, haben Sie unterschiedliche Rechte und Pflichten.

Aussage­­ver­­wei­­ger­ungs­­recht der beschuldigten Person

Die Befragung als beschuldigte Person erfolgt oft im Anschluss an eine Hausdurchsuchung, Festnahme oder auf Vorladung hin. Auf eine Vorladung der Polizei oder Staatsanwaltschaft müssen Sie erscheinen. Sie können sonst polizeilich vorgeführt werden.

Als “beschuldigte Person” gilt gemäss Art. 111 Abs. 1 StPO “die Person, die in einer Strafanzeige, einem Strafantrag oder von einer Strafbehörde in einer Verfahrenshandlung einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder angeklagt wird.

Machen Sie keine Aussagen vor der Polizei und Staatsanwaltschaft, ohne Rücksprache mit einem Strafverteidiger oder einer Strafverteidigerin zu nehmen. Auch nicht anlässlich der Hausdurchsuchung, auf der Fahrt zum Polizeiposten oder vor Beginn der Einvernahme. Lassen Sie sich möglichst nicht in Gespräche verwickeln. Denken Sie daran, dass jedes (noch so freundliche) Gespräch ein Verhör ist und auch die Aussagen, die Sie ausserhalb des Protokolls gemacht haben, später im Polizeirapport stehen können bzw. anlässlich der Befragung daran angeknüpft wird. Polizisten sind darin geschult, Menschen zu verhören und wenden verschiedene Techniken an.

Sie haben das Recht, jederzeit, auch bei der ersten polizeilichen Befragung, einen Anwalt oder eine Anwältin Ihrer Wahl beizuziehen und amtliche Verteidigung zu beantragen (wird das Gesuch genehmigt, werden die Anwalts- und Verfahrenskosten vorerst vom Staat übernommen). Es besteht jedoch kein Anspruch auf Verschiebung der Einvernahme. Wenn die Zeit drängt und die gewünschte Verteidigung nicht zur Verfügung steht, muss die Polizei oder Staatsanwaltschaft einen Strafverteidiger oder  eine Strafverteidigerin der Pikettliste aufbieten. Bestehen Sie auf Ihr Recht auf Beizug einer Verteidigung!

Die Polizei oder Staatsanwaltschaft müssen Sie vor der ersten Einvernahme in einer Ihnen verständlichen Sprache darüber informieren, ob gegen Sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, und, falls ja, welche Straftaten Gegenstand des betreffenden Verfahrens bilden.

Sie haben das Recht auf eine Übersetzung! Nehmen Sie das Recht in Anspruch, wenn Sie die Verfahrenssprache nicht verstehen oder sich darin nicht genügend ausdrücken können.

Als beschuldigte Person müssen Sie sich nicht selbst belasten. Sie haben namentlich das Recht, die Aussage (auch nur zu einzelnen Fragen) und Ihre Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern. Sie haben auch das Recht, innerhalb der „Schranken des Rechts“ zu lügen. Diese Schranken sind in Art. 303 (Falsche Anschuldigung) und 304 StGB (Irreführung der Rechtspflege) zu erblicken. Beispielsweise dürfen Sie einen Nichtschuldigen nicht wider besseres Wissen einer Tat oder sich selbst fälschlicherweise einer strafbaren Handlung beschuldigen.

Ich empfehle Ihnen, mindestens zu Beginn der Strafuntersuchungen – insbesondere wenn Sie keine Rücksprache mit einem Strafverteidiger oder einer Strafverteidigerin genommen haben – keine Aussagen zu machen. Dies aus folgenden Gründen:

  • In der ersten Aufregung nach einer Hausdurchsuchung oder Festnahme können Sie zu Aussagen verleitet werden, die Sie später bereuen. Wenn Sie später trotzdem noch Aussagen machen wollen, so werden Sie noch genügend Gelegenheiten erhalten, dies zu tun.
  • Unterschätzen Sie keinesfalls die Polizeimitarbeiter. Sie werden von geschulten Ermittlern befragt, die fast täglich Befragungen durchführen. Sie aber haben wahrscheinlich keine oder wenig Erfahrung mit polizeilichen Befragungen.
  • Auch harmlos erscheinende Fragen haben Ihre Berechtigung und deren Beantwortung kann Sie in die Bredouille bringen.
  • Sie wissen nicht, wie weit die Untersuchung schon fortgeschritten ist. Es kann sein, dass die Polizei im Trüben fischt und Ihre Aussage braucht, um eine Tathypothese zu beweisen. So lange Sie keine Akteneinsicht erhalten haben, wissen Sie nicht, was die Polizei in der Hand hat. Akteneinsicht wird aber frühestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person gewährt.
  • Hat die Staatsanwaltschaft, obwohl Sie die Aussage verweigert haben, genügend Beweise um einen Haftantrag zu stellen, so können Sie im Haftverfahren den Haftantrag und die Haftakten einsehen. Vor dem Zwangs­mass­nahmen­gericht, welches die Haft genehmigen muss, können Sie in einer mündlichen Verhandlung aussagen.
  • Sie können sich nicht darauf verlassen, dass die Polizei während der Befragung offenlegt, welche Beweise Sie hat oder eben nicht hat. Oft wird auch geblufft: „Wir haben DNA-Spuren gefunden“. Die Polizei verschweigt aber, dass die Spuren noch gar nicht ausgewertet sind.
  • Auch passiert es immer wieder, dass Leute auf Fragen antworten, weil sie denken, diese Informationen seien sowieso schon bekannt und sie würden nur scheinbar Bekanntes bestätigen. Es ist jedoch überhaupt nicht klar, woher die Polizei Informationen hat und ob diese offiziell verwertbar sind.

Wenn Sie die Aussage verweigern, so wird die Polizei nicht gleich aufgeben, Sie wird insistieren, nach den Gründen fragen (und damit versuchen, Sie trotzdem zu einer Aussage zu verleiten) und wahrscheinlich den ganzen vorbereiteten Fragekatalog abarbeiten. Verweigern Sie jede Frage mit den Worten: „Dazu sage ich nichts“ oder „ich verweigere die Aussage“.

Wenn Sie sich trotzdem dazu entschliessen – ohne Rücksprache mit einer Verteidigung – Aussagen zu machen, dann kontrollieren Sie das Protokoll sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Sie sind nicht verpflichtet, dieses zu unterschreiben.

Aussage­­ver­­wei­­ger­ungs­­recht der Auskunftsperson

Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf die in Art. 178 lit. d StPO genannten Personen, welche “ohne selber beschuldigt zu sein, als Täterin, Täter, Teilnehmerin oder Teilnehmer der abzuklärenden Straftat nicht ausgeschlossen werden können“, als Auskunftspersonen einvernommen werden.

Wer als Auskunftsperson befragt wird, hat in der Regel eine Vorladung der Polizei oder Staatsanwaltschaft erhalten.

Die Auskunftsperson ist eine Eigenart des schweizerischen Strafprozessrechts; eine Art Mischfigur aus Zeuge und Beschuldigtem. Wie der Beschuldigte hat auch die Auskunftsperson ein Recht auf Aussageverweigerung und Beizug einer Verteidigung (die sie aber selbst bezahlen muss). Auskunftspersonen, die sich bereit erklären auszusagen, sind auf die möglichen Straffolgen einer falschen Anschuldigung, einer Irreführung der Rechtspflege und einer Begünstigung hinzuweisen. Allerdings wird ihnen – im Gegensatz zum Beschuldigten – nicht zu Anfang der Einvernahme gesagt, dass sie einer Straftat verdächtigt und im Fokus der Ermittlung stehen.

Nun kommt es aber immer wieder vor, dass bereits verdächtigte Personen anfänglich als Auskunftspersonen vorgeladen und, nachdem auf ihre Rechte aufmerksam gemacht, entsprechend einvernommen werden. Nach den ersten Aussagen erfolgte die Eröffnung, dass sie aufgrund der gemachten Auskünfte jetzt nicht mehr als Auskunftspersonen betrachtet, sondern der Tat dringend verdächtigt würden. In der Folge werden ihnen ihre Rechte als Beschuldigte gemäss 158 Abs. 1 StPO erläutert und sie werden als Beschuldigte einvernommen. Es kann aber auch vorkommen, dass eine Einvernahme als beschuldigte Person erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.

Mit diesem Vorgehen ist der zu vernehmenden Person zu Beginn der Vernehmung womöglich nicht klar, dass sie als möglicher Täter oder mögliche Täterin in Betracht gezogen wird. Denn die Polizei informiert sie nicht darüber, dass gegen sie selbst eine Strafuntersuchung im Gange ist oder ihr Straftaten zur Last gelegt werden.

Die Belehrung als Auskunftsperson lautet z.B. folgendermassen:

Wir untersuchen den Betrug zum Nachteil von X.Y. In dieser Sache möchte ich Sie jetzt als Auskunftsperson befragen. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie als Auskunftsperson nicht zur Aussage verpflichtet sind und auch das Recht haben, einen Anwalt beizuziehen.

Die Belehrung als beschuldigte Person lautet dagegen:

Wir untersuchen den Betrug zum Nachteil von X.Y. In dieser Sache sind Sie der Tat dringend verdächtig und werden daher als Beschuldigter wegen Betrug befragt. Als Beschuldigter sind Sie nicht verpflichtet, Aussagen zu machen oder anderweitig mitzuwirken. Ebenso haben Sie das Recht, einen Anwalt beizuziehen.

Problematisch ist dieser Rollenwechsel, insbesondere, wenn die einvernommene Person im Lichte der Verdachtslage zum Zeitpunkt der betreffenden Einvernahme bereits konkret tatverdächtig war und als beschuldigte Person hätte einvernommen werden müssen. Die Verteidigung kann diesfalls versuchen, ein Verwertungsverbot der Einvernahme zu erwirken, das Bundesgericht hat diese Frage bis heute jedoch noch nicht abschliessend beantwortet. Bis zur Gerichtsverhandlung (und vielleicht auch nachher) bleibt die Einvernahme mit grosser Wahrscheinlichkeit in den Akten.

Sind Sie jedoch tatsächlich „nur“ als Auskunftsperson vorgeladen und machen Sie von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, erwecken Sie damit unter Umständen einen Verdacht gegen sich selbst und setzen weitergehende Ermittlungen in Gang. Bei einer beschuldigten Person besteht dieses Risiko nicht, da sie bereits verdächtigt wird.

Somit müssen Sie sich fragen, ob Sie vernünftigerweise als tatverdächtig oder gar dringend tatverdächtig erscheinen (versetzten Sie sich in die Rolle eines Ermittlers). Kann die Frage bejaht werden, so rate ich dringen dazu, vor der Einvernahme einen Termin mit mir zu vereinbaren und an der Befragung die Aussageverweigerung in Erwägung zu ziehen.

Befragung als Zeuge oder Zeugin

Zeugin oder Zeuge ist eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist (Art. 162 StPO).

Zeugen unterstehen einer grundsätzlichen Zeugnispflicht. Es besteht kein Aussageverweigerungsrecht. Diese Zeugnispflicht wird durch verschiedene Zeugnisverweigerungsrechte durchbrochen (Art. 168-176 StPO). Grundsätzlich hat der Zeuge oder die Zeugin aber die Pflicht, richtiges Zeugnis abzulegen. Falsches Zeugnis wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht (Art. 307 StGB). Wer sich beharrlich weigert, Zeugnis abzulegen, wird mit Busse bestraft.